Corona lässt das Wir-Gefühl in der Gesellschaft schwinden 

Caritas-Umfrage zeigt: Ehrenamtliches Engagement und Anbieter von sozialen Hilfen sind Stifter von Zusammenhalt. Ralf Regenhardt: Vielfältige Einsatzmöglichkeiten bei der Caritas „sind sinnstiftend und fördern das Wir-Gefühl“.

72 Prozent der Menschen in Deutschland sind der Meinung, der gesellschaftliche Zusammenhalt habe durch die Pandemie gelitten. Zwei Drittel sagen: Institutionen, bei denen sich Menschen ehrenamtlich für andere engagieren, sowie Anbieter von sozialen Hilfen, haben in dieser Zeit am meisten dazu beigetragen, die Gesellschaft zusammenzuhalten. Der Beitrag der Medien, der Politik und kultureller Institutionen zum Zusammenhalt in der Pandemie wird dagegen eher gering bewertet. Das ergab eine von forsa durchgeführte repräsentative Befragung, die der Deutsche Caritasverband in Auftrag gegeben hat. Demnach meinten 37 Prozent der Befragten, der gesellschaftliche Zusammenhalt habe in der Pandemie „deutlich“ gelitten. Nur fünf Prozent sagen, er habe „deutlich zugenommen“. 35 Prozent finden, er habe „etwas abgenommen“ und 20 Prozent, er habe „etwas zugenommen“. 

Das „Wir“ leidet 

„Die Zahlen bestätigen, was unsere Kolleginnen und Kollegen in den Diensten und Einrichtungen erleben. Es gibt großartige Momente gelebter Solidarität und viele Beispiele für ein Zusammenrücken in der Pandemie. Insgesamt überwiegt aber das Gefühl, dass das ‚Wir‘ in der Pandemie erheblich leidet“, kommentiert Caritas-Präsidentin Eva Maria Welskop-Deffaa die Ergebnisse. „Die ständige Bedrohung durch das Virus und die Notwendigkeit, Abstand zu halten, haben die Kräfte erschöpft und das Miteinander in Mitleidenschaft gezogen.“ 

Caritas-Präsidentin Eva Maria Welskop-Deffaa | Foto: Deutscher Caritasverband
Caritas-Präsidentin Eva Maria Welskop-Deffaa | Foto: Deutscher Caritasverband

Das Umfrageergebnis deckt sich mit Beobachtungen aus Südniedersachsen. „Wir arbeiten weiterhin stets nah am Menschen. Ob in unseren Pflegediensten, in den Kitas oder bei unseren Beratungsangeboten: Die Pandemie verlangt von allen Mitarbeitenden zusätzliche Kräfte“, sagt Ralf Regenhardt, Vorstandssprecher der Caritas Südniedersachsen. Besonders gravierende Pandemiefolgen würden derzeit von der Beratungsstelle für Kinder, Jugendliche und Eltern beobachtet. „Das Team unserer Erziehungsberatung berichtet mir, dass vermehrt selbstverletzendes Verhalten, lebensmüde Gedanken, schwere soziale Ängste und ein gestörtes Schlaf- und Essverhalten in den Gesprächen thematisiert werden“, betont Regenhardt. Aus der Suchtberatung heiße es, dass zunehmend Klienten durch die Pandemie rückfällig würden. In der Schuldnerberatung seien in den vergangenen Monaten deutlich mehr Pfändungsschutzbescheinigungen ausgestellt worden.

Caritas-Vorstandssprecher Ralf Regenhardt | Foto: Caritas Südniedersachsen
Caritas-Vorstandssprecher Ralf Regenhardt | Foto: Caritas Südniedersachsen

Auch deutschlandweit sehen die Signale aus der Praxis besorgniserregend aus: „Viele Pflegekräfte sind ausgebrannt. Sozialarbeiterinnen verzweifeln im Angesicht von Jugendlichen mit Essstörungen und Kindern mit Angststörungen. Unsere Beratungsstellen sind überlaufen, viele Klientinnen und Klienten wissen nicht weiter“, berichtet Welskop-Deffaa. Hinzu komme, dass „die Frage, wie das Virus am besten zu bekämpfen ist, zu Unfrieden und Spannungen in Kollegen- und Freundeskreisen führt.“ 

Politik bei jungen Menschen abgeschlagen 

Auf die Frage, welche Personen oder Organisationen den gesellschaftlichen Zusammenhalt befördern, antworten 67 Prozent, dass „Vereine und Verbände, in denen Menschen sich ehrenamtlich für andere engagieren können“ dies „stark“ oder „sehr stark“ tun. An zweiter Stelle finden sich „Anbieter von sozialen Hilfen“, mit einer Zustimmung von 60 Prozent. „Kulturelle Orte“ (21 Prozent), „soziale Medien und soziale Netzwerke“ (24 Prozent) und die Politik (31 Prozent) werden deutlich weniger als Zusammenhaltstifter erfahren. Bildungseinrichtungen (47 Prozent) und klassische Medien (33 Prozent) liegen dazwischen. 

Die Caritas Südniedersachsen könne sich glücklicherweise auf viele ehrenamtlich engagierte Menschen verlassen. „Freiwilliges Engagement bleibt auch unter Pandemiebedingungen ein wesentlicher Bestandteil unserer Arbeit“, sagt Regenhardt. Täglich werde das nicht zuletzt in den drei Sozialläden in Herzberg am Harz (Kleiderkammer), Northeim (Caritex-Laden) und Duderstadt (FAIRKAUF-Laden) deutlich. Selbst die Seniorenbegegnung könne trotz Pandemie mit ehrenamtlicher Unterstützung angeboten werden, etwa im Duderstädter Lorenz-Werthmann-Haus. „Hinzu kommen diejenigen, die bei uns ein Freiwilliges Soziales Jahr oder den Bundesfreiwilligendienst absolvieren mit wichtigen Aufgaben in unseren Göttinger und Duderstädter Kitas und Pflegediensten“, meint Regenhardt. So biete die Caritas vielfältige Einsatzmöglichkeiten, denen eines gemeinsam sei: „Sie sind sinnstiftend und fördern das Wir-Gefühl“, sagt der Caritas-Vorstandssprecher. 

Als Alarmsignal wertet die Caritas allerdings, dass wenig junge Menschen einen positiven Beitrag der Politik zur Stärkung des Zusammenhalts sehen. „Offenkundig hat Politik bei jungen Menschen ein Vertrauenskapital verspielt, weil sich diese von den Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie belastet oder vergessen fühlen“, sagt Caritas-Präsidentin Welskop-Deffaa. Von den befragten 14- bis 29-Jährigen werten lediglich 17 Prozent den Beitrag der Politik zum gesellschaftlichen Zusammenhalt als „wichtig“ oder „sehr wichtig“ – bei ihnen liegt die Politik damit am Ende der Skala der Zusammenhaltstifter. 

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„Sorgen bereitet uns auch, dass in Ostdeutschland deutlich weniger Menschen die Anbieter sozialer Hilfen als förderlich für den gesellschaftlichen Zusammenhalt erleben als in anderen Teilen des Landes“, erklärt Welskop-Deffaa. Im Osten heben nur 45 Prozent der Befragten diesen Beitrag als besonders wichtig hervor, während die Zustimmung im Westen bei 63 Prozent liegt. „Die soziale Infrastruktur – Schuldnerberatungsstellen, Wohnungslosenhilfe und andere Angebote – ist nicht in allen Teilen Deutschlands gleich gut ausgebaut. Das spiegelt sich in den Ergebnissen der Befragung wider.“

„Zusammenspiel mit anderen Institutionen“ 

„Die Ergebnisse sind in dem Jahr, in dem der Deutsche Caritasverband sein 125-jähriges Jubiläum feiert, für uns ein starker Ansporn“, meint die Caritas-Präsidentin. „Die Wohlfahrtsverbände sind beides: Orte, an denen die Menschen sich für andere engagieren können – das tun bei der Caritas knapp 700.000 hauptamtliche und eine halbe Million ehrenamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter – und Anbieter von sozialen Hilfen. Die Pandemie führt uns vor Augen, wie lebenswichtig sie für viele Menschen sind.“ Die Ergebnisse der Umfrage sind für die Caritas-Präsidentin auch ein Auftrag, mehr für die Stärkung der politischen Teilhabe und der Demokratie zu tun. „Wir können und wollen unsere Rolle nur im Zusammenspiel mit anderen Institutionen und Partnern, nicht zuletzt der Politik, erfüllen.“ 

Große Zustimmung für Respekt, Solidarität, Gerechtigkeit 

In der Umfrage äußerten die Befragten sehr große Zustimmung zu den Werten, die aus Sicht der Caritas das Fundament des gesellschaftlichen Zusammenhalts bilden. So bewerten 85 Prozent der Befragten „Respekt gegenüber allen Menschen“ als „wichtig“ oder „äußerst wichtig“ für den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Bei „Solidarität mit den Schwächsten“ ebenso wie bei „gerechten Chancen für Arme und Ausgegrenzte“ sind mehr als zwei Drittel (68 %) der Befragten der Meinung, diese Werte seien für den gesellschaftlichen Zusammenhalt wichtig. „Der Wertekompass unserer Gesellschaft ist intakt“, zeigt sich die Caritas-Präsidentin überzeugt. „Die Pandemie fordert uns heraus, diese Überzeugungen auch zu leben. Individuell, aber vor allem auch gemeinsam. Die Caritas will als Treiberin sozialer Innovationen in Deutschland und weltweit auch in den nächsten 125 Jahren dazu beitragen.“ 

Die Jubiläumskampagne des Deutschen Caritasverbandes „Zukunft denken, Zusammenhalt leben: #DasMachenWirGemeinsam“ will zeigen: Gemeinsam in alten und neuen Allianzen lassen sich soziale Gräben überspringen und soziale Ungerechtigkeiten überwinden. 

Zur Umfrage

Das Umfrageinstitut forsa hat im Auftrag des Deutschen Caritasverbandes eine repräsentative telefonische Umfrage durchgeführt. Ein Teil der Fragen wurde im Dezember 2021 gestellt, ein anderer Teil in der ersten Januarwoche 2022, jeweils an 1.000 Personen über 14 Jahre. 

Zur Kampagne „Zukunft denken, Zusammenhalt leben: #DasMachenWirGemeinsam“

Die Kampagne appelliert an alle Menschen innerhalb und außerhalb der Caritas, gemeinsam an einer sozialeren und gerechteren Gesellschaft zu arbeiten, gerade in der Coronakrise. Die Kampagne begleitet das 125-jährige Jubiläum des Deutschen Caritasverbandes und stellt die Werte, die das Fundament der Caritas bilden, in den Vordergrund. Entwickelt wurde die Kampagne zusammen mit der Berliner Agentur Ballhaus West. Die Kampagnenmotive und mehr Informationen gibt es auf www.dasmachenwirgemeinsam.de. Zur Geschichte der Caritas gibt es unter www.caritas.de/125-jahre mehr zu lesen, sowie im aktuellen Caritas Jahrbuch.


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