Keine Frau macht sich die Entscheidung leicht

Mit der Vertraulichen Geburt wurde seit 2014 die Möglichkeit geschaffen, dass Frauen in einer schwierigen Situation legal und medizinisch betreut ihr Kind zur Welt bringen können. Anschließend kann es zur Adoption freigegeben werden. Auch Mitarbeiterinnen der Caritas Südniedersachsen begleiten solche Geburten.

Lissi (Name geändert) ist 27 Jahre alt, hat zwei Kinder und lebt in Trennung. Als sie erfährt, dass sie schwanger ist, bricht für sie eine Welt zusammen. Oft weiß die Kassiererin einer großen Supermarktkette nicht, wie sie über die Runden kommen soll. Sie arbeitet halbtags, kümmert sich nach Kindergarten und Grundschule um ihre Tochter und ihren Sohn. Aber ein drittes Kind?

Viele schlaflose Nächte hat Lissi hinter sich. Abtreibung kommt für sie nicht infrage. Selbst entbinden und das kleine Wesen in einer Babyklappe abzulegen? Sie sucht im Internet und stößt auf das Stichwort „Vertrauliche Geburt“. Über die Internetseite „www.geburt-vertraulich.de“ findet sie eine Beratungsstelle in ihrer Nähe.

Etwas mehr als 1200 vertrauliche Geburten seit 2014

Hildegard Schütz arbeitet bei der Caritas Südniedersachsen im Caritas-Centrum St. Godehard in Göttingen. Sie ist dort in der Beratung für Schwangere und Familien tätig. Genau wie ihre Kollegin Magdalena Bunte hat sie eine Zusatzqualifikation für „Vertrauliche Geburt“ gemacht. „Vor zehn Jahren hat der Gesetzgeber diese legale Möglichkeit einer Geburt geschaffen, bei der die medizinische Betreuung von Mutter und Kind gewährleistet wird und das Kind auch ohne die leibliche Mutter in ein gutes Leben starten kann. Durch eine Vertrauliche Geburt sollen Entbindungen auf irgendwelchen Toiletten, Kindstötungen direkt nach der Geburt oder das Aussetzen eines ungewollten Babys verhindert werden. Auch das Kind in einer Babyklappe abzulegen oder nach einer Geburt – unter falschem Namen – aus dem Krankenhaus zu verschwinden und das Kind zurückzulassen – also eine sogenannte anonyme Geburt –, sind illegal. Da wird immer die Polizei eingeschaltet, die dann versucht, die Mutter zu ermitteln“, erklärt Schütz.

Hildegard Schütz (l.) und Magdalena Bunte (r.) beraten und begleiten Frauen im Caritas-Centrum St. Godehard in Göttingen auch bei einer Vertraulichen Geburt. | Foto: Edmund Deppe / kiz
Hildegard Schütz (l.) und Magdalena Bunte (r.) beraten und begleiten Frauen im Caritas-Centrum St. Godehard in Göttingen auch bei einer Vertraulichen Geburt. | Foto: Edmund Deppe / kiz

In den letzten zehn Jahren, seit es diese Form der Entbindung gibt, hatte die Caritas-Mitarbeiterin gerade einmal vier Beratungen zur Vertraulichen Geburt. Davon nutzten im Endeffekt nur zwei Frauen diese Möglichkeit in ihrer letzten Konsequenz. Im gesamten Bundesgebiet wurden seit 2014 etwas mehr als 1200 Vertrauliche Geburten registriert.

„Schwangere Frauen, die sich eine Vertrauliche Geburt wünschen, müssen sich beraten lassen. Sie müssen sich aber nur der Beraterin gegenüber ausweisen. Anschließend läuft alles unter einem selbstgewählten Pseudonym“, erklärt Schütz und weist darauf hin: „Leicht macht sich keine Frau diese Entscheidung. Wer sich bei uns über eine Vertrauliche Geburt beraten lässt, kommt aus einer ganz schwierigen persönlichen Lebenssituation. Die Gründe sind dabei sehr unterschiedlich. Das können häusliche Lebensumstände sein, Gewalt in der Ehe, eine neue Partnerschaft, eine Erkrankung, Überforderung, Ängste, aber auch Gründe, die in der kulturellen Herkunft oder im religiösen Bereich liegen.“ Beratungsstellen, Kliniken und Hebammen, Jugend- und Standesämter, die Adoptionsvermittlungsstellen und das Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben (BAFzA) sind bei einer Vertraulichen Geburt involviert. Doch die eigentliche Identität der Schwangeren kennt nur die Beraterin.

Wenn sich die schwangere Frau für eine Vertrauliche Geburt entscheidet, muss sie nur einen Herkunftsnachweis für das BAFzA ausfüllen. Gut für das Kind und eine eventuelle Adoptionsfamilie wären allerdings auch weitergehende Informationen über die Eltern. „Da gibt es zum Beispiel einen freiwilligen Fragebogen vom Jugendamt zur Mutter und, wenn bekannt, auch zum Vater. Wie ist der Familienstand, gibt es Geschwisterkinder? Auch das Aussehen, Nationalität, Schulbildung, Beruf und aktuelle Tätigkeit werden abgefragt“, erklärt Schütz und Bunte ergänzt: „Wichtig wäre auch für eine Adoption, wie der Verlauf der Schwangerschaft war, wurden beispielsweise in dieser Zeit Alkohol oder Drogen konsumiert und sind in den Familien der Eltern Krankheiten bekannt.“

Es wird nicht nur in eine Richtung beraten

In der Beratung zur Vertraulichen Geburt gilt, wie auch in jeder anderen Beratung, erst einmal die Krisensituation zu beleuchten und die hilfesuchende Frau in ihrer aktuellen Situation anzunehmen. „Wir beraten dabei nicht nur einseitig in Richtung Vertrauliche Geburt, sondern versuchen auch, Hilfemöglichkeiten aufzuzeigen, um ganz normal selbst mit dem Kind zu leben oder sich für eine Form der Adoption zu entscheiden. Da sind die Möglichkeiten heute sehr facettenreich“, betont Bunte.

Ist die Entscheidung aber einmal für die Form der Vertraulichen Geburt gefallen, müssen die Frauen aufpassen. „Sie dürfen nur noch ihr selbst gewähltes Pseudonym verwenden. Denn wenn sie diesen Schutzschirm der Anonymität verlassen, muss das Krankenhauspersonal sie mit ihrer eigentlichen Identität registrieren“, betont Schütz. Dies gilt auch gegenüber der Besatzung eines Rettungswagens, der die Frau eventuell ins Krankenhaus bringt. „Deshalb bekommen die Frauen, die bei uns oder in einer anderen Einrichtung in der Beratung waren, eine Art Ausweis. Den brauchen sie nur vorzuzeigen und das medizinische Personal weiß Bescheid. Auf diesem Ausweis stehen ihr Pseudonym, dass sie vertraulich entbinden wollen, wer sie beraten hat und dass alle Kosten rund um die Geburt vom Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben übernommen werden“, sagt Bunte.

Eine kleine Ausweiskarte erleichtert die Abwicklung im Rettungswagen und im Krankenhaus. | Foto: Edmund Deppe / kiz
Eine kleine Ausweiskarte erleichtert die Abwicklung im Rettungswagen und im Krankenhaus. | Foto: Edmund Deppe / kiz

Neben dem Fragebogen für das Jugendamt, dass sich dann auch um die Adoption des Neugeborenen kümmert, gibt es noch eine wichtige Aufgabe. „Mit 16 Jahren haben adoptierte Kinder das Recht, zu erfahren, wer ihre leibliche Mutter beziehungsweise ihre leiblichen Eltern sind. Diese Informationen werden in einem Herkunftsnachweis, in dem der richtige Name der Mutter und die Anschrift zum Zeitpunkt der Geburt stehen, in einem Briefkuvert beim BAFzA hinterlegt. Archiviert ist er unter dem gewählten Pseudonym der Mutter, das auch in den Adoptionsunterlagen verzeichnet ist. Wir halten die Mütter an, auch einen persönlichen Brief an ihr Kind mit in das Kuvert hineinzulegen, aus dem es etwas über die eigene Herkunft erfährt und es besser verstehen kann, warum seine Mutter die Vertrauliche Geburt gewählt hat und es damit zur Adoption freigegeben hat“, erzählt Schütz. Gerade das Wissen um die eigenen Wurzeln ist für viele adoptierte Kinder sehr wichtig, weiß die Beraterin.

In sechs Jahren werden die ersten Kinder, die vertraulich entbunden wurden, das 16. Lebensjahr erreichen. Erst dann wird sich zeigen, ob sie über die beim BAFzA hinterlegten Unterlagen einen Kontakt zu ihrer leiblichen Mutter herstellen können.

Entscheidung für eine Vertrauliche Geburt

Auch Lissi hat sich für die Vertrauliche Geburt entschieden. Schon vor der Geburt ihres Kindes, es ist ein Mädchen, hat sie ihrer Tochter einen langen Brief geschrieben, ein Foto von sich sowie ihre Lieblingskette in das Kuvert gesteckt, auf dem nun ihr Pseudonym steht und der beim BAFzA hinterlegt ist. Im Krankenhaus bringt Lissi unter Aufsicht der Hebamme und einer Ärztin ihr Kind zur Welt. Sie legt ihm ein Kuscheltier ins Bettchen als Gruß, dann verlässt sie das Krankenhaus, um keine zu enge emotionale Bindung zu dem Kind aufzubauen. Sie weiß, ihre Tochter wird adoptiert.

Und mit 16 Jahren hat sie dann das Recht, über das BAFzA unter dem Pseudonym ihrer leiblichen Mutter, diese vielleicht doch einmal kennenzulernen, aber zumindest etwas über ihre Wurzeln zu erfahren und warum ihre Mutter diesen Weg gewählt hat.

Edmund Deppe
KirchenZeitung Hildesheim


Stichwort „Vertrauliche Geburt“

Im § 25 Absatz 1 des Schwangerschaftskonfliktgesetzes wurde im Jahr 2014 festgelegt: „Eine […] Schwangere, die ihre Identität nicht preisgeben möchte, ist darüber zu informieren, dass eine vertrauliche Geburt möglich ist. Vertrauliche Geburt ist eine Entbindung, bei der die Schwangere ihre Identität nicht offenlegt […].“ Zum Schutz der Anonymität der Mutter wurde eine besondere Regelung der Auskunfts- und Nachweispflicht in § 10 Absatz 4 des Personenstandsgesetzes festgelegt: „Eine Auskunfts- und Nachweispflicht besteht nicht bei einer vertraulichen Geburt.“

Beratungsstellen zur Vertraulichen Geburt sind im Internet zu finden unter: www.geburt-vertraulich.de und sie können beim „Hilfetelefon – Schwangere in Not“ erfragt werden unter der bundesweit kostenlos geschalteten Telefonnummer: 0800 40 40 020.