Caritas schlägt Alarm: „Die Pflege fährt an die Wand“ 

Caritas in Niedersachsen fordert bundesweiten Pflegegipfel – Manuela Kunze berichtete in Hannover von der Situation in Südniedersachsen.

„Wir sehen mit großer Sorge, dass die Pflege an die Wand fährt! Deshalb schlägt die Caritas in Niedersachsen Alarm zum Internationalen Tag der Pflege und fordert einen nationalen Pflegegipfel.“ Mit klaren Worten beschreibt Johanna Sievering, Vorsitzende des Sprecherkreises Altenhilfe und Pflege, die dramatische Situation, die nach Einschätzung aller Fachleute auf das Pflegesystem in Niedersachsen und Deutschland zukommt. 

Sorgen sich um die Zukunft der Pflege (v.l.): Bernhard Bruns, Johanna Sievering und Manuela Kunze. | Foto: Kimberly Fiebig
Sorgen sich um die Zukunft der Pflege (v.l.): Bernhard Bruns, Johanna Sievering und Manuela Kunze.
| Foto: Kimberly Fiebig

„Wenn es so weiterläuft, werden wir uns von vielen Pflegeheimen verabschieden“ 

Bernhard Bruns, Referent für Altenhilfe beim Landes-Caritasverband für Oldenburg, zeigt die Dimension auf: „Bis 2030 wird sich die Zahl der Pflegebedürftigen in Deutschland von 5 auf 5,4 Millionen Menschen erhöhen. Für Niedersachsen erwarten wir in diesem Zeitraum einen Anstieg von 46.000 Menschen. Gleichzeitig gehen bundesweit bis 2030 rund 175.000 Pflegekräfte aus der Altenhilfe in Rente.“ Für Niedersachsen greift der Experte auf Zahlen des Landespflegeberichtes zurück: „Uns fehlen in Niedersachsen aktuell circa 25.000 Pflegekräfte, um alle Menschen zu versorgen, die pflegebedürftig sind.“ 

Anders ausgedrückt: Der Fachkräftemangel ist bereits jetzt gravierend. In wenigen Jahren wird er das Pflegesystem, wie wir es kennen, grundlegend gefährden. Bruns erläutert: „Es sind nicht einfach Pflegekräfte, die irgendwie fehlen. Wenn in stationären Einrichtungen nicht ausreichend viele Pflegende vorhanden sind, müssen Betten stillgelegt werden. Das hat in den letzten Monaten bereits zur Schließung von Einrichtungen geführt.“ Und weiter: „Wenn alles einfach so weiterläuft, werden wir uns innerhalb weniger Jahre von vielen Pflegeheimen verabschieden müssen.“ 

Belastete Patienten, ausgebrannte Angehörige, überforderte Mitarbeiter 

Auch die ambulante Pflege ist betroffen. Manuela Kunze, Geschäftsbereich Altenhilfe und Pflege im Caritasverband Südniedersachsen, gibt einen Einblick in die Praxis ihres ambulanten Pflegedienstes: „Vor wenigen Tagen mussten wir die Aufnahme eines Patienten ablehnen, der aus dem Krankenhaus entlassen werden sollte. Es ging um die Versorgung eines Ulcus cruris, man sagt auch ‚offenes Bein‘ dazu. Wir haben aber aktuell kein freies Personal, das diesen Auftrag übernehmen kann. Nun fährt er täglich etliche Kilometer zu seinem Hausarzt, damit die Wunde versorgt wird.“ 

Kunze kennt aus der täglichen Arbeit weitere Beispiele: „Wir begegnen regelmäßig überforderten und ausgebrannten pflegenden Angehörigen, die manchesmal sogar ihre Berufstätigkeit aufgeben müssen, damit die Pflegebedürftigen versorgt sind.“ Die Auswirkungen auf ihr Team sind naheliegend: „Meine Mitarbeitenden machen viele Überstunden. Viele melden sich krank, weil sie nicht mehr können. Und es gibt auch Kündigungen.“ 

Pflegegipfel nach dem Vorbild des Energiegipfels ist nötig 

Johanna Sievering, selbst Ärztin und hauptberuflich stellvertretende Direktorin des Caritasverbandes für die Diözese Osnabrück, sieht dringenden Handlungsbedarf. „Aktuell werden viele Einzelmaßnahmen aufgerufen, um den Notstand abzuwenden. Unsere große Sorge ist, dass das nicht ausreicht.“ Sievering nimmt ein Bild aus der Medizin, um die Situation zu verdeutlichen: „Das Pflegesystem ist lebensbedrohlich erkrankt. Die Diagnose ist allen Fachleuten klar. Nun müssen wir die entsprechende Therapie einleiten. Im Moment wird noch zu viel an den Symptomen gearbeitet.“ 

Sievering plädiert daher für einen weitergehenden Schritt: „Wir benötigen dringend einen nationalen Pflegegipfel nach dem Vorbild des Energiegipfel aus dem vergangenen Jahr. Das Problem ist so gravierend groß, dass einzelne Maßnahmen keine Rettung bringen werden.“ 


Der 12. Mai ist seit 1965 allen Menschen gewidmet, die in Pflegeberufen arbeiten. Der Internationale Tag der Pflege wird jährlich am Geburtstag von Florence Nightingale begangen, die als eine Begründerin der modernen Krankenpflege gilt. 

Die Caritas in Niedersachsen vertritt den Landes-Caritasverband für Oldenburg e.V., den Caritasverband für die Diözese Hildesheim e.V. und den Caritasverband für die Diözese Osnabrück e.V. Dort arbeiten ca. 9.300 Pflegekräfte in 91 stationären Pflegeeinrichtungen und 56 ambulanten Pflegediensten.